Art. 124 Abs. 2 SchKG     c. Vorzeitige Verwertung

Druckversion2Der Betreibungsbeamte kann jederzeit Gegenstände verwerten, die schneller Wertverminderung ausgesetzt sind, einen kostspieligen Unterhalt erfordern oder unverhältnismässig hohe Aufbewahrungskosten verursachen. Inhaltsübersicht

Verfahrensmässiger Anwendungsbereich

Betreibung auf Pfändung: vgl. unten; auch wenn die Pfändung erste ein provisorische ist (Art. 119 Abs. 1 SchKG) BGE 101 III 27 E. 1c   BGE 35 I 276 E. 1  BGE 35 I 814

Betreibung auf Pfandverwertung: Art. 124 Abs. 2 i.V.m. Art. 156 Abs. 1 SchKG

Während des Arrestverfahrens: BGE 101 III 27 E. 1a  BGE 47 III 199 E. 3  BGE 35 I 276  BGE 35 I 814 E. 2  AB TI 15.2021.134 E. 11.4.1  AB TI 15.2002.149 E. 4  AB TI 15.98.00199 E. 1  zur Zuständigkeit vgl. unten  GVP 1991/92, S. 173 f., S. 175;

Verwertung von beschlagnahmten Vermögenswerten (Art. 266 Abs. 5 StPO): vgl. Allgemein.

Vorzeitige Verwertung

Freihandverkauf als bevorzugte Verwertungsart beim Notverkauf: Der Zweck, die Interessen des Eigentümers am besten zu wahren, indem der bestmögliche Erlös erzielt wird, kann eher mit einem Freihandverkauf als mit einer öffentlichen Steigerung erreicht werden. BGer 1B_461/2017 E. 2.1. BStrGer BB.2018.209 E. 3.5. (beide in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO) Verweis: vgl. auch Art. 243 Abs. 2

Wertverminderung: Wertverminderung ist die Minderung des Verkehrswertes eines Vermögensgegenstandes ohne den Einfluss äusserer Faktoren.  AB TI 15.2002.149 E. 4

Schnelle Wertverminderung: Objekte unterliegen einer schnellen Wertverminderung, wenn sie während der Dauer der Zwangsverwertung einem Wertverlust ausgesetzt sind. BStrGer BB.2018.209 E. 3.5. (in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO) Eine schnelle Wertverminderung kann zum einen in der Beschaffenheit der beschlagnahmten Gegenstände, zum andere in der fehlenden Möglichkeit einer geeigneten Lagerung liegen. OGer NW BAS 21 9 E. 3.2 (in Bezug auf Art. 166 Abs. 5 StPO) KGer BL 470 15 290 E. 3.2. (in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO) OGer ZH UH140239 E. II.4.2. (in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO) Verweis: vgl. auch Art. 243 Abs. 2

Kostspieliger Unterhalt: Ein Unterhalt ist kostspielig, wenn die Kosten während der Dauer der Zwangsverwertung im Verhältnis zum Wert der Objekte unverhältnismässig hoch sind. BStrGer BB.2018.209 E. 3.5. (in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO) KGer BL 470 15 290 E. 3.2. (in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO) OGer ZH UH140239 E. II.4.2. (in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO) OGer ZH UH120314 E. II.3. (in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO) Zu den Unterhaltskosten gehören auch Lagerkosten oder die Kosten für die Garagierung eines Fahrzeugs. BStrGer SN.2011.27 (mit Verweis auf BGE 111 IV 41 E. 3b; in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO) KGer BL 470 15 290 E. 3.2. (in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO) OGer ZH UH140239 E. II.4.2. (in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO) vgl. auch AB BE ABS 17 94 E. 5.2. (in Bezug auf Pferde) Verweis: vgl. auch Art. 243 Abs. 2

Relativ neuwertige Fahrzeuge: Es ist notorisch (so die Vorinstanz) bzw. es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Fahrzeuge in den ersten Jahren ihrer Inverkehrsetzung rasch an Wert verlieren. BGer 1B_461/2017 E. 2.2. (in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO) KGer BL 470 15 290 E. 3.3. (in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO) OGer ZH UH140239 E. II.4.2. (in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO) vgl. auch PKG 2000 Nr. 27 E. 2a BStrGer BB.2018.209 E. 3.6. (in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO)

Unverhältnismässig hohe Aufbewahrungskosten: Die Beurteilung der Verhältnismässigkeit der Unterhalts- und Lagerkosten muss anhand des Wertes des gepfändeten Gegenstandes erfolgen.  AB TI 15.2002.149 E. 4  Verweis: vgl. auch Art. 243 Abs. 2

Berücksichtigung der Erträgnisse: Der Unterhalt ist dann nicht kostspielig, wenn die entsprechenden Unterhaltskosten ganz oder zu einem grossen Teil aus den Erlösen der Verwaltung oder dem Wert der Sache beglichen werden können. BGer 1B_95/2011 E. 3.2.1. BStrGer BB.2018.209 E. 3.5. (in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO) Verweis: vgl. auch Art. 243 Abs. 2

Kommentar 1: Dies gilt für alle Fälle der vorzeitigen Verwertung, d.h. nicht nur in Bezug auf kostspieligen Unterhalt.

Kasuistik vorzeitige Verwertung bejaht (vgl. auch Art. 243 Abs. 2)

Kasuistik vorzeitige Verwertung verneint (vgl. auch Art. 243 Abs. 2)

  • monatliche Hypothekarkosten von rund CHF 15‘000 bei einem Grundstück im Wert von rund CHF 7.9 Mio. stellten keinen kostspieligen Unterhalt dar BGer 1B_95/2011 E. 3.2.2.
  • Boot mit einem Verkehrswerte von CHF 300’000 bei Unterhaltskosten (für 33 Monaten) von CHF 34’146 in Anbetracht dessen, dass die Verwertung auch zum Verlust des Einstellplatzes geführt hätte, welcher nur schwer wieder zu finden gewesen wäre OGer ZH UH120314 E. II.4.2/E. II.4.4. (in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO)
  • Zwei ältere Fahrzeuge der Oberklasse mit einem Verkehrswert von (zusammen) CHF 32’000 bei Aufbewahrungskosten (für sechs Monate) von (zusammen) CHF 1’200 KGer BL 470 15 290 E. 3.3./E. 3.4. (in Bezug auf Art. 266 Abs. 5 StPO)

Entscheidungsbefugnis während einem Arrestverfahren 

Entscheidungsbefugnis des Betreibungsamtes bzw. der Aufsichtsbehörden: Solange kein Gerichtsverfahren über die Frage des Einbezugs der Sache (welche vorzeitig verwertet werden soll) im Vollstreckungsverfahren oder über die Zulässigkeit des Arrestes hängig ist, bleibt das Betreibungsamt bzw. bleiben die Aufsichtsbehörden zuständig, über eine vorzeitige Verwertung zu entscheiden.  BGE 101 III 27 E. 1a  BGE 47 III 199 E. 3  BGE 35 I 814 E. 2

Entscheidungsbefugnis des befassten Sachgerichts: Wenn dagegen ein Gericht mit einem Verfahren entweder über die Zulässigkeit des Arrestes oder über den Einbezug der Sache (welche vorzeitig verwertet werden soll) im Vollstreckungsverfahren (wie etwa einem Widerspruchsverfahren) befasst ist, dann entscheidet das Gericht im Rahmen von vorsorglichen Massnahmen  BGE 101 III 27 E. 1d  darüber, ob eine vorzeitige Verwertung vorzunehmen ist.  BGE 101 III 27 E. 1a, E. 1c  BGE 47 III 199 E. 3  BGE 35 I 276 E. 2, E. 4  BGE 35 I 814 E. 2  Beschlägt das gerichtliche Verfahren beim Arrest nur die Arrestforderung (und nicht die Zulässigkeit des Arrests), so bleiben das Betreibungsamt bzw. die Aufsichtsbehörden zum Entscheid über die vorzeitige Verwertung zuständig.  BGE 101 III 27 E. 1e Beschlägt das gerichtliche Verfahren jedoch beim mietrechtlichen Retentionsrecht die Mietzinsforderung und damit mittelbar auch das Retentionsrecht, dann ist das befasste Sachgericht zuständig, über eine vorzeitige Verwertung zu entscheiden. BGE 35 I 814 E. 2 und E. 3